Kant für alle

Die Zeiten, in denen wir leben, erfordern (zumindest für mich) viel mehr Reflexion und Weitsicht einerseits; sich aufs Jetzt, aufs Wesentliche zu konzentrieren andererseits. Das ist schwierig und spannend zugleich. Ich kann auch nicht sagen, ob dieser Prozess normal ist, oder eine Frage von Reife und Alter, denn ich bin immer nur momentan im aktuellen Alter. Vielleicht sagen die Alten ja: Das ist bei uns damals nicht anders gewesen. Mit viel Erfahrung funktioniert die Rückschau eben einfach besser.

Ich persönlich sehe jedenfalls eine weltweite Entwicklung in verschiedenen Bereichen, die mir schon einiges an Grübelei – ich will nicht sagen Bauchweh, aber… naja – und Planung abverlangen. Stets natürlich mit der Hoffnung verknüpft, dass sich letztlich alles zum Guten wenden wird. Was aber ist denn das Gute? Frieden – im Großen wie im Kleinen? Grün, wohin man blickt? Freiheit für alle? Luxus für alle? usw. Oftmals, oder besser gesagt meistens ist die Beantwortung der Frage, was denn das Gute, Erstrebenswerte für mich und die Welt sei, höchst individuell.

Vor Kurzem thematisierten wir im Team – und ich weiß nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind – die Kant‘schen Fragen: 

Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was darf ich hoffen?

Was ist der Mensch?

Immanuel Kant, eine Galionsfigur der Aufklärung und Freund der Freiheit, stellte diese Fragen bereits Ende des 18. Jahrhunderts. Ich persönlich war eigentlich nie ein großer Kantianer. Viel zu kompliziert. Allerdings muss ich zugeben, dass die von ihm formulierten Fragen, wenn auch schon vor langer Zeit gestellt, im Grunde nicht an Aktualität verlieren.

Die erste hat es mir aufgrund der letzten Jahre besonders angetan. Und in gewisser Weise beeinflusst sie auch die Sichtweise auf die anderen drei. In Zeiten von Fakenews, Deepfake, dem Internet an sich und den Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz stellt sich die Frage nach echtem Wissen bzw. dem Generieren von echtem Wissen außerordentlich. Kann ich dem, was ich lese oder sehe vertrauen? Selbst wenn das Medium, das ich in Händen halte, ganz ohne Strom funktioniert, bin ich nicht gefeit vor Desinformation und Manipulation. Wo ist der hochgelobte, unabhängige Qualitätsjournalismus nur hingekommen? Oder hat es ihn vielleicht nie gegeben? Irgendein Nutznießer, eine Parteifarbe oder sonst irgendeine Interessensgemeinschaft steht doch immer im Hintergrund von allem und bezahlt, will mich in eine bestimmte Richtung lenken – vermutlich, um mich dorthin zu bringen, irgendeiner Meinungsblase anzugehören, für oder gegen etwas Bestimmtes zu sein und bei der nächsten Wahl das richtige Kreuzerl zu machen. Dann stimmt alles. Dann hat es gut funktioniert. Mein Blick auf die Welt ist in die richtigen Bahnen gelenkt worden. Dann weiß ich ganz genau, was ich tun soll, was zu hoffen ist und welche Menschen auf meiner Seite stehen und welche nicht. Nur gemeinsam sind wir stark! Dann weiß ich ganz genau, auf wen ich zeigen muss, auf ihn, den Sündenbock, der etwas ganz anderes weiß als ich… und natürlich im Unrecht ist…

Deeskalation bitte!

Ich denke, es ist wichtig, sich mit Kants Fragen auseinanderzusetzen, jedoch in einer ganz unaufgeregten, einfachen, persönlichen Art und Weise. Denn letztlich gibt es etwas viel Wichtigeres als den Wahnsinn vor der Tür – Erkenntnis über sich selbst. Und wenn ich für die gestellten Fragen meine Antworten gefunden habe, dann soll die Welt, was sie für richtig hält… und mich in Frieden lassen.